Ab 2035 E-Auto statt Verbrenner. Ist das realistisch?

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E-Auto „geht“ hat unser Autor errechnet. Und es löst die 130-km/h-Frage en passent...
Die Sache pro oder contra E-Autos hat die Redaktion entzweit. Und weil es kompliziert ist, mit Strom zu rechnen (verdammte Physik und verdammte Mathematik - oder andersrum?), haben wir also den Mann gefragt, den wir immer fragen, wenn es kompliziert wird, der sich unabhängig von allen anderen (vor allem unabhängig von der Politik) seine Gedanken macht, der selbst rechnet und nirgendwo gedankenlos abschreibt. Und der Text ist rausgekommen. Lesenswert, echt!
Der schon beschlossene Wunsch der EU-Politik: Es sollen ab 2035 in der EU nur noch E-Autos produziert werden. Geht das überhaupt? Haben wir genug Strom für all die Akkus?
Tolle Frage und schon geistern Fakes, Mythen und Fehlrechnungen durchs Internet. Sogar Prof. Harald Lesch musste seine erste Meinung "das geht nicht, der Strom reicht niemals" revidieren und hat das auch zugegeben. Doch welche Berechnung ist nun richtig?
Wahrscheinlich erstmal keine so ganz, denn der Strommarkt in Deutschland ist europäisch und nicht allein deutsch. Deutschland hat 2020 so ca. 560 Mrd. kWh produziert, aber Strom zugekauft (z.B. aus Frankreich 2020 ca. 14 Mrd. kWh) aber Deutschland hat auch selbst exportiert, nämlich 21 Mrd. kWh mehr als importiert wurden. Deutschland hat somit mehr Strom in den Leitungen um ihn selbst zu verbrauchen. Alles ein wenig undurchsichtig, trotzdem soll hier eine Berechnung gewagt werden. Die Basiszahlen stammen aus offiziellen Quellen (Statista etc.).
Hinweis: Es werden in Texten zu diesem Thema Strom Maßeinheiten wie Terawatt, Gigawatt etc. benutzt. Der Verbrauch eines E-Autos wird aber in Kilowatt-Stunden angegeben, also muss man umrechnen, damit die Ergebnisse dann auch stimmen.
1 Terawatt-Stunde ist gleich 1 Giga-Kilowatt-Stunde
oder besser vorstellbar für "Nichtphysiker" und wie hier im Text angegeben:
1 Giga-Kilowatt ist gleich 1 Milliarde (Mrd.) Kilowatt.
Und noch ein Hinweis: Viele Texte im Internet geben nur Prozente an. Die "echten" Zahlen fehlen. Das "riecht" dann nach Propaganda gegen oder für E-Autos und ist keine saubere Information.
Basis-Zahlen – Benzin/Diesel pro Jahr
Anzahl PKW 2021 laut Kraftfahrtbundesamt |
|
48 mio |
Durchschnitt Kilometer/Jahr |
|
15.000 |
Liter-Verbrauch/100km |
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7,5 |
Gesamtverbrauch der Flotte (Liter) |
48.000.000 x 150 x 7,5 |
54.000.000.000 |
Unsere Autos verbrennen also 54 Mrd. Liter pro Jahr.
Nun kommt eine Überraschung. Für jeden Liter Treibstoff werden ca. 1,5 kWh Strom verbraucht (u.a. für Pumpen).
Macht also knapp 81 Mrd. kWh, die so nicht mehr gebraucht werden in einer E-Autowelt. Das kann man also bei den fossilen Energien einsparen (= weniger CO2). Natürlich kann man das so nicht verrechnen, es sei denn man schaltet die Anlagen komplett ab, was wohl nicht realistisch ist. Trotzdem ein interessanter Aspekt.
Basis-Zahlen – Hochrechnung E-Auto pro Jahr
Anzahl PKW 2021 laut Kraftfahrtbundesamt |
48 mio |
|
Durchschnitt Kilometer/Jahr |
15.000 |
|
Verbrauch/100km in kWh |
15 |
|
Gesamtverbrauch der Flotte (kWh) |
48.000.000 x 150 x 1,5 |
108.000.000.000 |
Es werden somit ca. 108 Mrd. Kilowatt-Stunden gebraucht, damit die E-Motoren laufen können.
Das sieht natürlich erstmal schlecht aus, denn bei uns werden nur ca. 255 Mrd. kWh Öko-Strom produziert. Benötigt werden dann aber 363 Mrd. kWh (255 + 108).
Aber, man muss ab hier noch anders rechnen. Ein Großteil der E-Autos wird man abends laden (nach der Arbeit), nur zu dieser Zeit wird der Solarstrom abschlaffen. Strom aus Wasserkraft wird man nicht steigern können, eine Steigerung des Stroms aus Biogas bleibt fraglich.
Folglich bleibt erstmal nur die Windenergie als Lösung übrig. Aber das würde eine Steigerung bei der Windenergie von derzeit ca. 115 Mrd. kWh auf 223 Mrd. kWh bedeuten (= Verdoppelung!). Deutschlands windsichere Küsten sind aber schon gepflastert mit Windrädern, also müssen die Bayern doch noch ran. Da zukünftig die Kunstschnee-Pisten wegen Klimawandel eh nicht mehr funktionieren werden, kann man da ja Windräder aufstellen.
Frage: Ist eine solche Steigerung der Windenergie in den nächsten 20 Jahren zu schaffen? Kann das klappen?
Möglich ist das schon, wenn man den Faktor Zeit mit einkalkuliert: 2021 waren 517.000 E-Autos zugelassen (die 500.000 Hybrid und Plug-Ins zählen nicht mit). Wir sind also noch weit entfernt von den 48 Mio. Verbrennern; die ersetzt werden sollen. Ein Benzinmotor hält heutzutage ca. 200.000 km, also länger als 10 Jahre bei durchschnittlich 15.000 km/Jahr. Es bleibt also etwas Zeit für den Ausbau der Windenergie, bis E-Autos die Straßen beherrschen werden.
Ein weiterer Punkt ist die Öko-Bilanz der Akku-Herstellung. Es bringt zu wenig, wenn die Akkus in China mit Kohlestrom produziert werden, denn deren CO2 wirkt auch über Deutschland, Woran man auch denken sollte: Bleibt China der einzige Akku-Hersteller, ist Deutschland und die EU politisch (noch mehr) erpressbar.
Also müssten wir hier bei uns die Akkus produzieren – und zwar mit Öko-Strom. Also wird noch etwas mehr davon gebraucht werden, denn die Herstellung eines PKW-Akkus mit 45 kWh benötigt wohl so ca. 11.400 kWh (ein neuer Akku kostet ca. 8000 €, jeder € = 1 Akku-kWh, dann stimmt die Größenordnung so ungefähr).
Angenommen Deutschland produziert zukünftig jährlich 10% der benötigten Akkus, dann werden dafür:
4,8 Mio. Akkus (45 kWh) x 11.400 kWh = 54,7 Mrd. kWh Öko-Strom benötigt, ein Plus von 22%.
Noch kurz zu den Übertragungsverlusten beim Stromtransport von Nord nach Süd.
Man rechnet pro 100 km Überlandleitung mit 1% Verlust. Aber, vom Windrad bis zur Einspeisung in die Leitung nach (beispielsweise Bayern) wird es erste Verluste geben. Wenn etwa 5% so verloren gehen plus 9% auf der 900 km Strecke und dann nochmal 6% bis zum Endverbraucher (durch die unvermeidbare Umspannung etc.), dann beträgt der Gesamtverlust so ca. 20%. Wohl kaum zu vermeiden (akzeptabel???), sollte man aber mit einkalkulieren. Es zählt also nicht allein, was so ein Windrad produziert, sondern was an der Steckdose für das E-Auto rauskommt.
Noch ein Problem?
Nur E-Auto-Zahlen im Blickfeld als Lösung könnte etwas zu kurz gedacht sein. Mal abgesehen von der geringen Reichweite bis zur nächsten längeren Lade-Zwangspause, da baut sich ein größeres Problem auf, nämlich, wo den Akku wieder aufladen? Auf dem Lande ist das wohl kein großes Problem. Hier hat praktisch jedes Haus eine Garage bzw. einen Stellplatz mit der Möglichkeit der Stromversorgung. Eine Schnell-Ladestation an jeder Ecke braucht man dort nicht. Aber in den Großstädten? Lassen wir dieses Thema mal unter dem Tisch, sonst wird der Text hier zu lang.
Nur E-Auto soll nicht gehen? Aber was dann?
Nun, es gibt ja schließlich weitere Ansätze. Wasserstoff-Zellen-Autos fahren schon. Motoren mit Wasserstoff-Direkteinspritzung funktionieren auch schon, und Biosprit aus Biomasse (Biomass to Liquid BTL) ist keine neue Technologie (vielleicht kann man so das Gülle-Problem lösen…). Wir bräuchten also nur "Neue Motoren", oder?
Sog. E-Fuel (aus Wasserstoff und CO2) kann in normalen Motoren verbrannt werden. Klingt wie eine Superlösung, ist aber falsch gedacht. Für Bio-Sprit und E-Fuel braucht man bei der Herstellung Strom und Wasserstoff und was hinten rauskommt ist nicht wirklich umweltfreundlich.
Wasserstoff soll in der Industrie fossile Energie ersetzen, ist also schon verplant. Also will die EU nur noch E-Autos mit Akku oder Wasserstoffzelle.
Man könnte natürlich auch aus abgebrannten Uranstäben kleine Atombatterien bauen, dann hätte so ein Auto eine Reichweite von xxx-tausend Kilometern ohne einen einzige Ladestopp. Kleiner Scherz, aber eine "Atomauto Idee, Studebaker Packard astral" gab es schon Ende der 1950-iger und ist bis heute nicht ganz verschwunden.
Randbemerkungen zum E-Auto
Strom versus Benzin. Ein Verbrenner schluckt pro Jahr für ca. 1.900 € Sprit, ein Stromer verbraucht ca. 900 € für entsprechende Kilowatts. Somit ein Plus von 1.000 € in der eigenen Tasche. Aber es gibt kleine Kostenfallen. Wer bei einen Stromer die tolle Beschleunigung zu sehr liebt, der verkürzt die Lebenszeit seiner Reifen auf ca. 25.000 km. Elektromotoren liefern aus dem Stand die volle Leistung (Drehmoment ca. 320 Nm), was eine grandiose Beschleunigung bedingt, aber leider Reifen frisst. Und zu große und ungeeignete Reifen (Rollwiderstand) verkürzen die Reichweite schon mal um ca. 30 wichtige Kilometer.
Nun noch kurz zu den Akkus.
Lithium-Ionen-Akkus verlieren mit der Zeit an Speicherkraft. So geben die meisten Hersteller eine Garantie auf 70% der Speicherkapazität bis 160.000 km. Ab dann wird es immer knapper mit der Reichweite. Wer also 30.000 km im Jahr fährt, der sollte ab dem 5. Jahr schon mal an einen neuen Akku denken, preislich an so ca. 8.000 € bis 10.000 €. Womit sich gleich auch die Frage stellt, ob man sein gebrauchtes E-Auto mit 160.000 km auf dem Tacho noch halbwegs gut verkaufen kann.
Kommen wir hier auch gleich noch zu einer Kernfrage der Elektromobilität. Was machen wir mit den abgeschlafften Akkus?
Ein solcher 300 kg-Akku besteht aus vielen kleinen Akkus, die jeder 70g wiegen. Ziehen wir 50 kg für das Akku-Drumrum ab, bleiben 250 kg. Die geteilt durch 70 g ergeben ca. 3,500 Kleinakkus. Wenn in der Zukunft jedes Jahr 10% Autoakkus anfallen, also ca. 5 Mio. Stück, dann müssen jährlich 17,5 Mrd. Miniakkus bearbeitet werden.
Oder wir schaffen Zwischenlager (können wir ja gut). Auf eine Europalette (Traglast 1.500 kg, 1,2 m x 0,8 m, ca. 1 qm) gehen 5 Akkus und das ergibt 1 Mio. Paletten pro Jahr bzw. 1 Mio qm, aber nur wenn man die Akkus so einfach stapeln kann. Wieviel Strom für das Recyceln benötigt wird, muss hier offen bleiben.
Fazit und Nachwort
"Geht doch gar nicht…Alles Blödsinn mit den E-Autos". Da können wir lange rumdiskutieren. Das Thema ist in der EU durch. Ab 2035 bzw. ab 2040 wird es wohl keine Neuzulassungen für PKWs mit Benzin- oder Dieselmotor mehr geben. Die Autoindustrie wird schon vorher umschalten, denn Verbrenner werden sich nicht mehr lohnen. Also kommt schon aus dieser Richtung ein gewisser Druck.
Auch der sog. Flottenwert für den durchschnittlichen CO2-Ausstoß pro PKW (aktuell 95 g/km, ab 2030 59,4 g/km) übt einen enormen Druck auf die Autoindustrie aus. Pro Gramm CO2 zu viel gibt es 100 Mio. € Strafe von der EU. Jedes verkaufte E-Auto (mit ca. 0 g CO2) drückt den Flottenwert erheblich. Ein "fetter SUV" mit 250 g/km braucht also 2 E-Autos zum Runterrechnen (250 geteilt durch 3 macht 83 g/km). Also brauchen auch Mercedes, BMW und Co. E-Autos in ihrer Flotte. Nun kommt aber "Trick 17". E-Autos zählen doppelt und schwere Autos mit viel PS werden CO2-bezogen runtergerechnet. Ein eigenes Thema. Immerhin, das Risiko "satte Strafe" bleibt.
Die Akkus werden besser werden, und die Lithiumgewinnung umweltfreundlicher. Natürlich müssen die Autopreise runter. Fast 40.000 € für ein Auto mit etwas mehr Reichweite ist einfach zu teuer für Normalverdiener. Zukünftig niedrigere Preise, das wird wohl auch so sein (siehe VW mit dem ID2 Lite).
Aber wie werden Shell, Aral, Esso und Co. reagieren? Meine Prognose: Es wird nur noch eine Benzinsorte geben, nämlich Premium 100 (Preis???). Shell und OMV werden mit Richtung Wasserstoff fusionieren (Esso und ARAL auch) und auf ALDI-, EDEKA- und Lidl-Parkplätzen wird es Ladesäulen geben. Mit einer ALDI-Energy-Card kann man dann etwas billiger laden. Ist das zu schräg gedacht?
Natürlich gibt es noch viele Baustellen (auch z.B.: Was machen wir mit den Lastwagen?), aber wir in Europa rühmen uns ja immer, die besten Techniker in einer hochmodernen Industrie zu haben. Also müssen wir ran an die Aufgabe "E-Mobilität" und zwar recht flott.
Noch kurz zur Politik. Es ist eigentlich schon 5 nach 12. Wenn da jetzt "rumgeeiert" wird (wie bei 130 km/h), dann wird das Nix so richtig. Ja dann haben die Querdenker ein neues Thema, wenn Corona "out ist".
Ich gestehe: Ich habe E-Auto gefahren und bin begeistert. Allerdings muss man ein E-Auto anders fahren, weniger mit dem Gaspedal, also mehr energiebewusst. Mit 80 km/h auf der heimischen Landstraße fährt man länger. Zwei Faktoren sind mir noch positiv aufgefallen. Bei uns auf dem Lande muss man ca. 10 km bis zur nächsten Tankstelle fahren. Die Steckdose in der Garage erspart einem das und ist billiger. Abgase werden beim Einkauf auch nicht mehr in die Städte geblasen.
Und, viele E-Autos fahren nicht viel schneller als 140 km/h. Dann kann man auch die leidige 130iger Diskussion politisch geräuschlos beenden.
Gute Fahrt bis dahin, wünscht
Claus S. Tebägger